Eine dampfende Tasse Tee steht vor mir. Es ist kurz vor Mitternacht, kurz vor der Geisterstunde, wie der Volksmund zu sagen pflegt. Traumkräuter schwimmen im Sieb, die da wären: Beifuss, das Kraut der Seherinnen, Schafgarbe für eine sichere Reise, und Baldrian, bekannt für seine beruhigende Wirkung auf die Nerven. Der Tee kann noch mit Lavendel und Melisse ergänzt werden und erhält in diesem Fall eine geschmackliche Aufwertung. Ich bin eine Traumwandlerin und gleich beginnt meine nächtliche Reise…
Die alten Germanen kannten auch schon Albträume, die sie um ihren wohlverdienten Schlaf brachten. Sie machten die Alben dafür verantwortlich, Wesen, die etymologisch wohl zum Volk der Zwerge gehörten, im Grunde aber zu den Elben gezählt werden konnten. Ein Alb setzt sich des Nachts auf die Brust des Träumenden und „drückt“ ihn oder sie, bis dieses unangenehme Druckgefühl zu eben jenen Schlafbildern führt, die uns Angst und Panik bescheren. An dieser Angst labt sich der Alb. Auch die Trud oder Drude konnte, klein wie ein Strohhalm, durch Schlüssellöcher oder Astlöcher ins Schlafgemach eindringen und die Menschen quälen, indem sie sie ritt. Noch heute kennen wir das Sprichwort „jemand sei vom Teufel geritten“, was seinen Ursprung in der Vorstellung der Drude hat.
Von der Drude sagte man, ihr Fussabdruck, der Drudenfuss, schütze als Symbol gegen die Drude selbst. Wir kennen dieses Zeichen heute auch noch in Form eines Pentagrams, meist mit der Spitze nach unten. Nach alter Vorstellung schrecken böse Geister vor ihresgleichen zurück – ein Grund für die Verkleidung an Halloween und die gruseligen Masken bei den Perchtenläufen. Die Bezeichnung Alb lebt heute noch im Wort Alptraum weiter. Ein älterer Begriff, heute noch im englischen Nightmare zu finden, war Mahr. Jede Kultur kennt und kannte dämonische Wesen, welche Menschen und auch Tiere im Schlaf das fürchten lehrten. Manche glaubten, die Drude sei eine verfluchte Frau, die ihre Hugr (ihr gesamtes nichtkörperliches Wesen) nachts abspalten muss, um dem Zwang, andere zu „drücken“ oder zu „reiten“ nachzugeben.
Wie kommt man im 21. Jahrhundert darauf, sich mit solchen Druckgeistern zu beschäftigen? Aufgrund einer Schlafstörung, der sog. Schlafparalyse. Die Wissenschaft spricht von einer Störung, die dafür sorgt, dass über die Aufwachphase hinaus der Schutzmechanismus im Gehirn, welcher uns daran hindert, Traumhandlungen körperlich auszuführen, bestehen bleibt. Das hat zur Folge, dass man aufwacht und keinen Finger rühren kann. Es fühlt sich an, als drücke eine Betonwand der Länge nach den gesamten Körper in die Matratze. Nur unter erheblicher Anstrengung und begleitet von Angstzuständen können sich Betroffene aus dieser Starre lösen. In diesem Zustand zwischen Schlaf und Wachsein berichten Leute davon, dass sie Dinge wahrnehmen, unschöne Dinge, wie eben eine dämonische Präsenz.
Nachdem mich der wissenschaftliche Erklärungsversuch nicht überzeugt hat, überzeugte mich die Erklärung aus dem Volksglaube umso mehr. Alles, was nicht wissenschaftlich erklärbar ist, wird auf Halluzinationen geschoben, der Zufall muss beständig herhalten und es gibt ja auch sonst keinen Beweis. Ich vertraue mir selbst mehr als einer These, die morgen wieder revidiert wird. Meine ganz persönliche Erklärung für die Schlafparalyse ist folgende: Die Hugr (oder auch Seele, Bewusstsein) kehrt zu schnell aus der Anderswelt oder auch Astralwelt zurück. Das muss man sich vorstellen, wie einen Taucher, der zu schnell zurück an die Oberfläche kommt – er ist desorientiert und hat erst einmal keine Kontrolle über seine motorischen Fähigkeiten. Die Seele muss quasi erst wieder an den Körper „andocken“ (unser Gehirn bietet die Schaltzentrale, über die es der Seele ermöglicht wird, den Körper zu nutzen). Ein Schreckerlebnis hat vielleicht dazu geführt, dass man regelrecht zurück gerissen wurde.
Irgendwann erzähle ich euch noch etwas mehr darüber, falls es euch interessiert. Dieses beängstigende Erlebnis, dass ich seit frühester Kindheit kenne, war einer der wichtigsten Gründe für meine heutige Beschäftigung mit Mythologie und (scheinbarem) Aberglaube.