Wie finde ich das passende Heilkraut?

Wer kennt die folgende Situation? Man möchte nicht länger ausschließlich auf chemische, pharmazeutische Medikamente zurück greifen, sondern die eigene Gesundheit mit natürlichen Mitteln wieder herstellen. Am Beispiel von Kopfschmerzen würden die meisten Menschen deshalb wie folgt vorgehen – anstelle einer Kopfschmerztablette trinkt man nun Weidenrindentee. Zu der Erkenntnis, dass Weidenrinde schmerzlindernd wirkt, kommt man häufig durch einfaches suchen im Internet oder nachschlagen in entsprechenden Büchern. Unter Stichpunkt Kopfschmerz tauchen Kräuter wie Baldrian, Mädesüss, Lindenblüten, Weidenrinde u.v.m. auf. 

Diese Methode kann funktionieren, muss aber nicht. Wer nach einer halben Stunde noch immer von Kopfschmerzen geplagt wird, der denkt entweder, ok – ich probiere ein anderes Kraut aus – oder – Kräuter wirken vielleicht doch nicht oder sind zu schwach.

Aber warum wirkt der Weidenrindentee bei Person A und nicht bei Person B? Sehen wir uns zuerst an, wie viele Gründe es für Kopfschmerzen geben kann (Liste ist nicht vollständig):

  • Stress
  • Muskelverspannung
  • zu wenig Schlaf oder schlechte Schlafqualität
  • Nahrungsmittel Unverträglichkeiten
  • Hormonelles Ungleichgewicht (PMS)

Ein großer Unterschied zwischen der Schulmedizin und der Kräuterkunde besteht im Ansatz. Die Schuldmedizin behandelt symptombezogen. Kräuterkunde versteht den Menschen als ein komplexes Individuum und betrachtet ihn ganzheitlich. Der ganze Mensch mit seiner Konstitution, seinen Gewohnheiten und seinem Umfeld wird betrachtet. Ich werde immer wieder gefragt, welches Kraut ich wofür empfehle und ernte des öfteren hoch gezogene Augenbrauen, wenn ich antworte „so einfach ist das nicht“. Heilung ist viel komplexer als ein Pflaster auf eine Wunde zu kleben. Aber ich mache absolut niemandem einen Vorwurf, denn die mangelnde Aufklärung und unser reduktionistisches Denken liegen der Situation zugrunde. Die meisten Menschen wissen nicht einmal mehr um die wundervollen Möglichkeiten einer ganzheitlichen Kräuterkunde. 

Während wir weiter oben nach den Gründen für das Symptom Kopfschmerz gesucht haben, sehen wir uns nun den Menschen hinter dem Symptom an. Person A könnte folgende Eigenschaften besitzen:

  • Leicht reizbar
  • Laute Stimme
  • Trockene Haut
  • Wacht nachts oft auf
  • Treibt exzessiv Sport

Person B besitzt vielleicht folgende Eigenschaften:

  • Tagesmüdigkeit
  • Fettiges Haar
  • Kann sich nur schwer für neues begeistern
  • Spricht leise und sehr langsam
  • Bewegt sich wenig

Person A und B sind hier in unserem Beispiel sehr unterschiedlich beschreiben – A würde man in der 4 Elementelehre als warm und trocken einordnen, B bei kalt und feucht. Genau diese Einteilung von kalt, warm, trocken und feucht finden wir auch in den Pflanzen. Hier geht es allerdings nicht um eine messbare Temperatur, sondern um das empfinden, welches der Genuss der Pflanze in uns auslöst. Eine Gurke wird ganz andere Empfindungen auslösen, als eine Pepperoni, ein Melissentee ganz andere als ein Tee mit Ingwer. Verbinden wir nun die Qualitäten in den Pflanzen mit der Konstitution im Menschen, wird es uns viel leichter fallen, ein Kraut zu ermitteln, welches mit viel größerer Genauigkeit nicht bloß zu unserem Symptom paßt, sondern zu uns als Mensch.

Die 3. Säule dieser Heilmittelerkenntnis finden wir, indem wir unterscheiden, ob unsere Symptome akuter oder chronischer Natur sind. Wie lange habe ich schon diese Beschwerden? Ist es nur die alljährliche Erkältung, die mich erwischt hat oder bestehen die Beschwerden schon länger? In aktuten Fällen greifen wir wohl eher zu einem Kraut, welches genau entgegen wirkt, d.h. wir suchen uns ein Kraut mit den Eigenschaften kalt und feucht, wenn wir hohes Fieber und trockene Haut haben. Bei chronischen Beschwerden können wir nicht immer so vorgehen – hier gilt oftmals der Ansatz, dem die Homöopathie folgt – gleiches heilt gleiches. 

Die antike Elementelehre zeigt uns auch die Wichtigkeit der Einbeziehung unserer Sinne an. Geruch und Geschmack von Kräutern sind essentiell – sind sie es doch, die uns erste Erkenntnisse zur innewohnenden Qualität liefern. Ihre Vervollkommnung fand diese alte Lehre jedoch erst in Verbindung mit der Astrologie zu Zeiten des Paracelsus. Hier verschmolzen die Methoden der Antike mit dem Wissen des fahrenden Volkes, der Kräuterweiblein und Bauern und mit neuen Erkenntnissen aus der Wissenschaft.

Schon während meiner Ausbildung zur Buchhändlerin zeichnete sich ab, was ich heute in meine Arbeit mit Kräutern integriere. Ein Teil meiner Prüfung bestand aus der Wahl von 3 Literatur Epochen, die detalliert abgefragt wurden. Ich wählte u.a. die Renaissance. Dort begegneten mir Agrippa von Nettesheim, Nicholas Culpepper und Paracelsus. Gelehrte an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter – nicht davor zurück schreckend, das Wissen des Altertums zu bewahren und wie in einem alchemistischen Prozess zu einer wundervollen Heilkunst zu verbinden. Obwohl mein Hauptaugenmerk damals auf der Literatur lag, übten diese Menschen eine große Faszination auf mich aus und das bis heute. Sie hinterließen uns das Wissen von Pflanze, Mensch & Kosmos, sowie die antike Lehre von den Qualitäten in Menschen und Pflanzen. Wenn wir uns dieses Wissen wieder aneignen, eröffnet sich eine neue Art der Kräuterkunde.

Jeder Mensch ist ein kleines Universum.

Die Säulen der traditionellen, westlichen Kräuterkunde

Im Laufe der Zeit haben sich in meiner Arbeit mit Kräutern Schwerpunkte heraus gebildet. Immer wieder komme ich zurück auf die Signaturenlehre, die Zeichensprache der Natur. Erstmals in allen Einzelheiten niedergeschrieben hatte diese der als „Grenzgänger“ bezeichnete Arzt, Astrologe, Philosoph und Naturkenner Paracelsus (1493 bis 1541 n. Chr). Doch was sind die Grundlagen dieser holistischen Lehre und was kann es uns heute bringen, sie anzuwenden? Habt ihr euch je gefragt, wie man am besten das passende Heilkraut für sich ermittelt? Warum wirken bestimmte Kräuter bei jemandem und andere nicht? Wäre es nicht großartig, wenn wir dazu in der Lage wären, Kräuter zur Erhaltung oder Wiederherstellung unserer Gesundheit selbstverantwortlich auswählen zu können – mehr oder weniger unabhängig von verwirrender Fachliteratur? imag1670

Um sich das vorstellen zu können, müssen wir gedanklich Abstand nehmen vom heutigen Modell der reinen Symptombehandlung. Der erste Schritt besteht darin, nicht (nur) auf das Krankheitssymptom zu schauen, sondern auf den  einzelnen Menschen. In diesem Artikel möchte ich die Säulen der traditionellen, westlichen Kräuterkunde vorstellen, die uns Einblicke in diese Form der Behandlung geben können.

Unsere Reise in die Vergangenheit beginnt zu Lebzeiten des griechischen Arztes und Philosophen Empedokles (492 bis 432 v. Chr.). Empedokles war es, der die Grundlage der 4 – Elemente – Lehre schuf. Er sprach damals noch von göttlichen Wurzelkräften. Erst Platon sprach später von den Elementen und sah diese bereits mehr im Sinne von Wirkstoffen, denn als beseelte Kräfte (der Weg zur Wirkstoffkunde, wie wir sie aus der modernen Medizin kennen, begann also in etwa während dieser Zeit). Polybos, ein Schwiegersohn des berühmten Hippokrates war es schließlich, der aus der Elementelehre wiederum die Säftelehre (auch bekannt als Humorallehre) entwickelte.

Polybos nannte 4 Körpersäfte, die in einem harmonischen Verhältnis vorherrschen müssen, damit der Mensch gesund sein kann – Blut, Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle. Darüber hinaus teilte er den Menschen, wie auch den Pflanzen 4 sogenannte „Qualitäten“ zu, die da wären – warm, kalt, feucht und trocken. An dieser Stelle ein Beispiel aus der Praxis, wie man nun ein passendes Heilkraut aufgrund dieser relativ unkomplizierten Einteilung auswählen könnte. Jemand leidet beispielsweise unter Verdauungsbeschwerden, die sich in wässrigem Stuhl äußern. Diese Symptomatik würde man wohl am ehesten als kalt und feucht beschreiben. Der nächste Schritt ist die Qualität der Heilpflanze und diese kann am Geschmack festgestellt werden. Geschmackliches Empfinden ist sehr individuell, aber um bei unserem Beispiel zu bleiben, nehmen wir die Kamille.

Um das Ungleichgewicht von kalt und feucht wieder auszugleichen, wäre die Kamille mit ihren Qualitäten von warm und trocken (ein Bitterkraut hat oft die Eigenschaft,  trocken)ein geeignetes Heilmittel. Jetzt sind wir allerdings beim Symptom und rein physischen Empfindungen stehen geblieben. Gehen wir weiter, so landen wir schließlich bei Galenos von Pergamon (129 bis 200 v. Chr.), der die Säftelehre auf die geistige Ebene übertrug und damit als Begründer der Temperamentelehre galt. Das Temperament eines Menschen benannte er als entweder Sanguiniker (Luft), Choleriker (Feuer), Phlegmatiker (Wasser) oder Melancholiker (Erde) und man spricht in Anlehnung an den Begründer auch von „Galenik“. Die Säftelehre hielt Dioskurides in seinem Kräuterbuch „De materia medica libri quinque“ fest, in welchem er an die 600 Pflanzen, 100 Mineralien und Tiere mit ihren jeweiligen Qualitäten auflistete. Sein Werk galt bis zur Renaissance als Standardwerk. imag1968

Auch Paracelsus kannte und nutzte die Lehren der Antike, äußerte jedoch auch erstmalig Kritik an deren Dogmatismus. Für ihn waren die Systeme nicht erschöpfend, denn wo waren die Geister und Himmelskörper, die nach der Erkenntnis und Erfahrung dieses Kräuterkundigen einen erheblichen Einfluss auf das irdische Geschehen hatten? Paracelsus lernte nicht nur an Universitäten, sondern scheute sich auch nicht vor der Magie des einfachen Volkes, der „Hexenmedizin“ der Heiden! Seine Ideen zur ganzheitlichen Sicht auf Mensch und Natur hielt er schließlich in seinen Schriften zur Signaturenlehre fest.

Am Schnittpunkt all dieser Vorstellungen liegt das Geheimnis der Heilmittelerkenntnis verborgen. Wer mehr zu diesem faszinierenden Thema erfahren möchte, darf sich auf einen 3-teiligen Kurs im kommenden Frühjahr freuen. Mehr Infos und die genauen Termine erfahrt ihr rechtzeitig 🙂 Ich trinke jetzt jedenfalls Tee – schönen, heißen und scharfen Ingwertee – da hat der Text jetzt Lust drauf gemacht 😉 Für alle, die sich fragen, wie ein Tee die Qualitäten warm und trocken haben kann – hört in euch hinein und schaut, welche Empfindungen der Geschmack in euch hervorruft. Probiert es einfach aus, wenn ihr das nächste mal Kräuter „schmeckt“!

Die Angaben in diesem Artikel ersetzen nicht die Behandlung durch einen Arzt, Heilpraktiker oder das therapeutische Fachpersonal, sondern dienen der Information.